Wollmantel – ausgiebige Änderungen
Für diesen schönen Dezembertag beim MMM kann ich mit einem Mantel teilnehmen. Ist er selbstgenäht? Nicht wirklich. Sind trotzdem die Hälfte der Nähte in dem Mantel von mir? Jap.
Dieser Mantel ist ein Änderungs-/Anpassungsprojekt. Er ist gebraucht zu mir gekommen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass daraus ein Lieblingsstück werden könnte. Ein bisschen auffrischen, ein bisschen enger machen… So einfach stellt man sich das zu Beginn vor, bis es dann ausufert.
Vorher „Rohmaterial“
Der Mantel war mir deutlich zu groß, ich würde sagen, im Laden wäre er mindestens zwei Nummern, eher drei Nummern zu groß. Die Qualität scheint mir sehr gut zu sein, fein und professionell verarbeitet und aus 80% Wolle, also ein Stück das erhaltenswert ist. Innen komplett gefüttert, der hintere Teil des Reverskragens ist mit Samt abgesetzt, ein tiefer Schlitz in der hinteren Mitte, gepolstere Schultern. Auf den Bildern sieht er schon groß aus, an mir hat er sich aber noch viel größer angefühlt, wie wenn ich darin versinken würde.
Die Änderungen
Im Folgenden habe ich mal die (auf dem Bild sichtbaren) Nähte markiert, die ich letztendlich aufgetrennt habe. Hinzu kommen noch innere Funktionsnähte und ich habe das Futter fast komplett herausgetrennt (bis auf den Bereich um den Gehschlitz).
Was mich wirklich schockiert hat, während des ganzen Änderungsprozesses ist, dass ich an so vielen Stellen Weite herausgenommen habe und trotzdem kaum Stoff gewonnen habe, der wiederrum gereicht hätte, um andere Stellen vernünftig aufzufüllen. Und ich habe wirklich gepuzzelt…
Änderung 1: hintere Rückenmitte
Die erste und maßgeblichste Änderung der Passform, war die Verschmälerung in der Rückenmitte. Vor der Änderung waren die Schultern zu breit (das bin ich sonst nicht gewohnt) und ich hatte das Gefühl als würde mir der Mantel von den Schultern rutschen. Also mal abgesteckt und probiert.
Entschuldigt die schlechten Selfies, da war niemand daheim, der ein besseres Bild machen hätte können.
Es hat sich gleich so viel besser angefühlt. Allerdings war damit auch klar, dass ich dafür den Kragen zerlegen muss. Also Kragen teilweise abgetrennt und vor allem Unter- und Oberkragen auseinandergetrennt. Diese Naht war auf jeden Fall die pfriemeligste Naht. Die Nahtzugabe war auf wenige Millimeter zurückgekürzt. Zum Auftrennen geht das noch, aber es muss ja auch wieder zusammenkommen, tat es nach ein wenig Fluchen glücklicherweise auch.
Änderung 2: Armlochtiefe und Ärmelweite
Als der Kragen wieder geschlossen war, stand mir noch eine schwierige Stelle bevor: die Ärmelweite bzw. die Armlochtiefe. Ohne diese Änderung hätte der Mantel wohl immer zu groß ausgesehen, trotz verschmälerter Taille. Das Armloch ging mir nämlich fast bis zur Taille. Bei dieser Änderung habe ich mir allerdings eine Schwierigkeit erspart, ich habe die Armkugel in den obersten 10 cm nicht abgetrennt, damit musste ich weder Schulterpolster noch die Ärmelfische anfassen.
Um das Armloch zu erhöhen benötigt es aber eine magische Zutat, die ich nicht hatte: Stoff. Also erstmal ein Schnittteil des Füllstücks erstellt, um zu wissen was ich brauchen werde. Das Schnittteil inkl. Nahtzugaben (Papier im dritten Bild unten) war aber wirklich deutlich mehr Fläche, als ich an Abschnitten hatte. Ich habe zwei der geraden Reste mit viel Dampf in die benötige Krümmung geformt. Und mich dann schweren Herzens für eine Erweiterung mit überlappenden Nahtzugaben entschieden. Durch das Stoff auf Stoff legen reichte mir das Füllstück knapp. Ich habe die Überlappung jeweils ganz nah an der Kante abgesteppt. Sieht eigentlich ganz ok aus und so oft sieht man mir eh nicht unter die Achsel. Das Gleiche habe ich am Ärmel gemacht, danach verschmälerten Arm und verschmälerten Körper wieder geschlossen.
Auf dem Bild mit der aufgetrennten Ärmelnaht sieht man im unteren Bereich den Körper, oben den weggeklappten Ärmel. An der Naht des Körpers sieht man auch die weggesteckte Mehrweite und damit auch den Grund für die Füllstücke.
Änderung 3: Gesamtumfang über vertikale Nähte verschmälern
Ein weiterer großer (aber einfacher) Änderungsbereich waren die vertikalen Nähte. Sie sind jeweils etwas verschmälert, insgesamt müssten es im Umfang rund 18cm sein (Rückenmitte miteingerechnet).
Änderung 4: Ärmellänge bzw. Armabschluss
An den Ärmeln war das Material für die Verlängerung sehr knapp. Auf den Vorher Fotos sehen die Ärmel gar nicht so kurz aus, durch das Verschmälern der Schultern (über die hintere Rückenmitte) und die Änderungen an der Armkugel, fehlte aber doch einiges an Länge. Damit wusste ich, dass ich maximal 7mm Nahtzugabe wegnehmen kann, um eine akzeptable Ärmellänge zu erhalten. Aus Wärmegründen hätte ich sie so gerne noch länger gehabt. Um auf einem anderen Weg Wärme „reinzubringen“, hat der Mantel versteckte Ärmelbündchen bekommen. Das Tutorial von Fredi dazu kam genau zum richtigen Zeitpunkt, so musste ich nicht selbst meinen Kopf anstrengen. Die Bündchen aus schwarzer Bündchenware liegen knapp innerhalb des Ärmelsaums. Für den Saumbeleg haben mir Gabi und Dani mit einem braunen Cordstoff ausgeholfen (Vielen, vielen Dank!), wie oben schon geschrieben blieb mir einfach nicht genug Mantelstoff Rest.
Änderung 5: neue Knöpfe
Eine kleine Änderung, die für mich total viel ausmacht: neue Knöpfe. Frischt auf, hellt auf.
Änderung 6: Paspel im Innenfutter
Details im Innenfutter gefallen mir ja generell und da Jacken, je länger sie sind auch stärker auffallen beim Gehen, sieht man in solch einen Mantel (sogar im geknöpften Zustand) regelmäßig hinein. Damit kam mir während ich das Futter vom Beleg getrennt habe, die Idee einer Paspel zwischen genau diesen Beiden. Der weiße Satin dafür war schnell in meiner Restekiste gefunden, er stammt noch von meinem goldenen Abendkleid. Allerdings war es auch kurz vor elf Nachts und ich damit zu allem bereit: keine Paspolschnur? Egal. Also habe ich zwei Fäden Wolle verwendet. Eine gute Idee? Leider nein. Sie ist einfach zu instabil und das Ganze sieht krumpelig/wellig/unruhig aus. Immerhin habe ich damit aber (bis auf die Knöpfe) nichts Neues für den Mantel gekauft, sondern nur „Eh da“ Dinge verwendet.
Das Ergebnis
Ich habe den Mantel in den letzten Tagen schon einige Male getragen und bin sehr zufrieden. Klar ist er nähtechnisch nicht 100% perfekt, schließlich sind bei Änderungen, anders als bei Neuanfertigungen, Kompromisse notwendig, aber ich habe ihn freudig getragen. Wirklich sehr zufrieden!
Über das Wärmevermögen war ich mir ebenfalls unsicher, aber auch hier ein gutes Ergebnis. Er reicht mir vermutlich an kalten Herbst- bzw. nicht zu kalten Wintertagen leicht aus. Hier hat es aktuell 4-6 °C das ging, kam dann noch Wind dazu, wurde es gelegentlich zu frisch. Ohne Wind, wunderbar.
In dem Bild unten sieht man übrigens warum der Gehschlitz so tief sein muss. Das ist ein Schnappschuss, also wohl meine normale Schrittlänge, oh Schreck.
Und ja, meine selbstgemachte Qwstion Bag passt nicht zu dem Mantel, aber wir waren ein paar Tage unterwegs und ich mag nicht mehrere Handtaschen mitschleppen. Darum muss eine für alles herhalten.
Mal wieder ein Projekt, für das ich keinen Namen weiß. Upcycling, Recycling, Vintage, Thrift Flip, Second hand, Wiederverwendung,…? Egal, ich freue mich über meinen neuen Wintermantel!
Hut ab für dieses Projekt – wie immer Du es auch nennst! 😉 An so viele Änderungen hätte ich mich definitiv nicht heran getraut und vermutlich auch nicht die Geduld dafür gehabt. Ich würde sagen, ein großer Erfolg! Klasse, dass Du den guten Stoff erhalten konntest.
LG Julia
Ich glaube nicht, dass dir Mut oder Geduld fehlen, du hast halt andere Nähprios und vielleicht auch ein größeres Stofflager 🙂
Grüße,Tina
Wow, was für eine Arbeit – sowas würde ich immer beiseite legen, ich hätte Angst, etwas falsch zu machen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen!!! Allerdings frage ich mich, ob da noch ein dicker Pullover drunter passt.
Viele Grüße Anke
Das finde ich ist das schöne an Second Hand Projekten, die Sachen werden ja eh schon nicht mehr getragen, man kann es also nur besser machen. Damit bin ich da sogar mutiger als mit frischem Stoff, dessen Ressourcen gefühlt „nur für mich“ verbraucht worden sind.
Also ich hatte schon die ein oder andere Lage drunter, auch eine meiner Strickjacken, das ging. Aber du hast natürlich Recht, Oversize und dicker Strick, das klappt nicht mehr.
Grüße, Tina
Der Mantel ist ja toll geworden. Die Lösungen mit den Ärmeln ist gelungen, und völlig unsichtbar, vermutlich. Der Samtkragen gibt dem Mantel einen besonderen Touch.
Leider noch mit neuen gekauften Knöpfen, bald nicht mehr 🙂
Grüße, Tina
Der Revers- und der Samtkragen haben so eine schöne Form! Alleine die sind m.E. die Mühe wert. Ein tolles Teil, möge es Dir viele Jahre gute Gesellschaft leisten!
Auch die weiße Paspel auf dem offen getragenen Foto macht echt was her.
Ja genau, der Mantel hat einfach so viele wunderbare Details. Danke für deine netten Worte.
Grüße, Tina
Deine Anpassungen haben sich definitiv ausgezahlt, der Mantel ist super geworden. Ich habe dieses Frühjahr mühsam das zerschlissene Futter aus meinem „guten“ Wollmantel getrennt. Nur um dann festzustellen, dass der Wollstoff neben der Naht und im vom Fahrradsattel beanspruchten Sitzbereich bereits löchrig oder sehr dünn ist. Sich ein erneuern des Futters also leider kaum mehr lohnt. Da freut es mich richtig, von deinem erfolgreichen Retten eines Wollmantels zu lesen.
Liebe Grüße, heike
Ach wie schade um deinen Mantel, aber Fahrrad Sattel ist wirklich für jegliche Kleidung tödlich…
Grüße, Tina
Wow, tolles Projekt!!! Gerade bei der derzeit schlechten Qualität von vielen Kleidungsstücken im Handel, freue ich mich über jedes Teil aus hochwertigem Stoff ist, das weiterlebt 🥰
Ich könnte noch „Second Life“ aus Name anbieten 😉
Liebe Grüße
Tina
Der Name ist nett, den behalte ich im Kopf. Geht mir auch so, Erhalten macht Freude.
Grüße, Tina
Was für ein richtig toller Mantel, ich habe auch noch 2 Blazer mit Samtkragen aus den 80ern (einen hat meine Nichte jetzt genommen), vermutlich stammt das Stück aus der Zeit. Unkaputtbar, wunderbare Qualitäten und absolut lohnenswert und spannend die Veränderung. Ganz mein Ding! LG Anja
Hoffentlich ist im Januar in Frankfurt dafür passendes Wetter 🙂
Wow, was für ein Projekt. Die Änderungen sind dir sehr gut gelungen und dein neuer Mantel sieht toll aus.
LG, Heike
Danke Heike, sehr nett von dir.
Grüße, Tina
OMG, was für eine Pfriemelei. Gerade ganz große Bewunderung für deine Arbeit. So geht Nachhaltigkeit. Das Ergebnis beeindruckt mich. Einfach ganz großes Kino.
Danke dir, das ist nett von dir!
Wow! Da hast du ja mal wieder Unglaubliches geleistet – mir wären die Fähigkeiten und die Geduld ausgegangen. Aber Respekt: So hast du einen wertigen und guten Mantel vor der Tonne bewahrt und das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen. Sieht richtig richtig gut aus.
Die Knöpfe geben dem Ganzen wirklich den letzten Dreh und machen den Mantel nochmal freundlicher. Steht dir auf jeden Fall sehr sehr gut.
LG Miriam
Fähigkeiten glaube ich nicht, da war nichts außergewöhnliches dabei, aber meine Geduld wurde an der ein oder anderen Stelle schon auch auf die Probe gestellt. Habs dann halt auch einfach mal weggelegt und ein paar Tage später gings wieder.
Grüße, Tina
Wenn ich das Nähprojekt wählen sollte, dass mich dieses Jahr am meisten beeindruckt hat, dann ist es Dein Mantel! Bei Kragen und Armloch ist mir fast die Luft weggeblieben. Das man eine Naht setzen kann, wo es kaum mehr Stoff gibt – eine derartige Rettung ist schon fast berührend. Und das Ergebnis wirklich schön geworden. Ich wünsche Dir frohe Weihnachten. Lieben Gruß Manuela
Danke für deine sehr netten Worte! Ich war in Berlin auf jeden Fall gut gekleidet in meinem Wollmantel. Nach Jahren der Puffer Coats finde ich, man hat sehr viele Wollmäntel diesen Winter gesehen. Allerdings ist mein Mantel etwas schmaler geworden, als der Durchschnittsberliner-Mantel 🙂
Grüße, Tina